"Die Todesstrafe verhindert keine Verbrechen"

"Dies tun nur vernünftige soziale Verhältnisse"

Gabi Uhl kämpft mit Gesang gegen Hinrichtungen im Namen des Volkes

VON ANTON J. SEIB

Friedrichsdorf. Diese Premiere hatte Gabi Uhl (Bad Schwalbach) nicht verdient. Nur ein gutes Dutzend Interessierte, darunter die Hälfte Jugendliche, war der Einladung der Friedrichsdorfer Gruppe von Amnesty International ins Forum der Philipp-Reis-Schule gefolgt.

Lieder gegen die Todesstrafe sang die zierliche Frau, manches Mal mit etwas zu bemühter Betroffenheit. Sie bettete ihre Songs ein in eine computer-animierte Präsentation nackter statistischer Zahlen über die weltweite Anwendung der Todesstrafe und in teils reflektierende, teils gefühlsbetonte Texte über ihre Erfahrung mit diesem bedrückenden Thema. Gabi Uhl provoziert mitunter mit ihren Thesen, setzt sie bewusst gegen das Stammtischgeschwätz, das bis tief in deutsche Wohnzimmer wirkt. Sie weiß, wovon sie spricht. Die Studienrätin mit den wallenden langen dunklen Haaren war näher dran am Sterben in der Todeszelle als alle von uns.

Im Juni 1998 begleitet sie ein Bekannte in die USA nach Huntsville/Texas, um dort deren Brieffreund Cliff Boggess zu besuchen. Der 33-Jährige mit der völlig verkorksten Biografie wartet nach zwei Raubmorden zwölf Jahre auf seine Hinrichtung. Gabi Uhl verklärt das Schicksal des Raubmörders Cliff nicht. "Er hat fürchterliche Verbrechen begangen, und er hat die Verantwortung dafür übernommen."

Gabi Uhl erlebt Cliffs Hinrichtung auf dessen Wunsch an Ort und Stelle, vom Sterbenden nur durch eine Glasscheibe getrennt. Die Einstichstelle für die Nadel am Arm sei sorgfältig desinfiziert worden. Dann sei das Gift zwei Minuten in die Adern geflossen. Nach vier Minuten habe ein Arzt den Tod festgestellt. Die ganze Zeit habe ein Pfarrer am Todesbett gewacht. "Das war wie ein Ritual. Ich hatte das Gefühl, im falschen Film zu sein. Seither hat mich das Thema nicht mehr losgelassen." Sie wurde zur glühenden Gegnerin der Todesstrafe. "Das kam mir unheimlich überheblich vor, wie dort Menschen im Namen des Staates einen anderen Menschen vom Leben in den Tod befördert haben." Und: "Nicht die Todesstrafe verhindert Verbrechen, sondern vernünftige soziale Verhältnisse."

Die Musik- und Religionslehrerin schloss sich der Aktion gegen die Todesstrafe "Alive" an, wirbt seither für ihre Ideen bei Besuchen in Schulen und versucht mit ihrer Website http://www.todesstrafe-texas.de/ ein breites Publikum aufzuklären. Ihr Auftritt im Forum der Philipp-Reis-Schule mit eigenen Liedern und fremden Songs - das Spektrum reicht von Erich Kästner bis Reinhard Mey - war eine Premiere. Das Datum war nicht willkürlich gewählt, sagte Amnesty-Sprecher Matthias Adler. Denn am Freitag, 10. Oktober, war der erste "Tag gegen die Todesstrafe", initiiert von einer breiten Koalition internationaler Menschenrechtler.

Weitere Informationen zu diesem Thema gibt es bei der Friedrichsdorfer Gruppe von Amnesty International, Matthias Adler, Telefon 0 61 72 / 99 56 16, im Internet unter http://www.ai-friedrichsdorf.de/, oder unter www.todesstrafe-texas.de.

Quelle: Frankfurter Rundschau - 14.10.2003

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Lieder gegen die Todesstrafe

VON MO SAUER

Friedrichsdorf. Am ersten internationalen Aktionstag gegen die Todesstrafe erhob sich auch in Friedrichsdorf eine Stimme gegen die Hinrichtung von Verbrechern. Gabi Uhl sang in der Philipp-Reis-Schule Lieder gegen die Todesstrafe. Amnesty International Friedrichsdorf hatte zu dem Konzert eingeladen.

Mit den Worten: "Heute ist ein guter Tag für ein solches Konzert", begrüßte Matthias Adler von der Menschenrechtsorganisation das Publikum. "Als erste Muslimin bekam jetzt die iranische Menschenrechtlerin Shirin Ebadi den Friedensnobelpreis."

Uhl eröffnete ihr Konzert nicht mit Musik, sondern mit Zahlen, Fakten und Fragen zum Thema Todesstrafe. Da erfuhren die Besucher, dass 2001 im Iran 139 Menschen hingerichtet wurden. Auch, dass im Iran die Todesstrafe beispielsweise für Ehebruch verhängt wird. Doch die meisten Todesurteile würden noch immer in China gefällt, wo sogar schon Zigarettenschmugglern die Hinrichtung droht.

Uhl machte ihre Erfahrungen mit einem zum Tode Verurteilten in den USA, dem einzigen westlichen Land, das Mörder hinrichtet. Über eine Freundin bekam sie Kontakt zu Cliff Boggess, der verurteilt war, weil er zwei Raubmorde verübt hatte. Sie freundete sich mit ihm an.

1998 wohnte Uhl, auf Boggess' Wunsch, seiner Tötung bei. "Seitdem lässt mich das Thema nicht mehr los", sagte sie und erzählte von ihren Erinnerungen an die Hinrichtung mit der Giftspritze: "Ich kam mir vor, wie im falschen Film. Einerseits das Gefühl, das kann doch nicht wahr sein, andererseits das Wissen, es passiert, jetzt gerade. Es war so sinnlos. Die Überheblichkeit der Menschen, die sich die Entscheidung über den Tod eines anderen anmaßen, konnte ich nicht akzeptieren."

Seitdem ist Uhl bei "Alive" aktiv, einer deutschlandweit agierenden Koalition gegen die Todesstrafe. Vor einem Jahr spielte die Studienrätin für Musik und Religion eine CD mit Liedern ein, die sich mit der Todesstrafe oder verwandten Themen befassen. Diese Lieder präsentierte sie nun erstmals live in einem Konzert.

Die Songs verschiedener Gruppen und Sänger präsentierte Uhl multimedial. Sie selbst sang zur eigenen instrumentalen Einspielung im Halb-Playback. Über einen Beamer projizierte sie die Texte der Songs, aber auch Bilder, auf eine große Leinwand.

"Cliff malte. Einige seiner Bilder zeige ich im Konzert", erläuterte Uhl ihre Auswahl. Die Texte, größtenteils auf Englisch, konnte das Publikum mitlesen. Die Inhalte waren Uhl wichtig. "Der Song von Reinhard Mey thematisiert die Mitverantwortung für Verbrechen, die auch die Gesellschaft trägt."

"Natürlich macht eine gesellschaftliche Schuld den Verbrecher nicht schuldunfähig, doch darf sich die Gesellschaft nicht ihrer Verantwortung entziehen, schon gar nicht, indem sie einfach den Täter entsorgt." Die Sängerin sang Songs vom Soundtrack des Films "Dead Man Walking".

Mit Ani DiFrancos Lied "Crime For Crime" bezeichnete sie Hinrichtungen als hilflose Gewalt zum fraglichen Schutz gegen Gewaltverbrechen. Eines ihrer Lieblingslieder war auch "To Live In Your World" von Happy Rhodes.

Quelle: Frankfurter Neue Presse (Taunus-Zeitung) - 15.10.2003

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