Kolonialzeit zu Ende, das Leiden nicht

VON BARBARA KERBEL

Bad Homburg. Menschenrechte, Folter, Todesstrafe. Für die meisten von uns sind das abstrakte Begriffe. Um diese Themen näher an Jugendliche heranzubringen, veranstaltete die Schülervertretung des Kaiserin-Friedrich-Gymnasiums (KFG) am gestrigen "Tag der Menschenrechte" in Zusammenarbeit mit der Landesschülervertretung Hessen einen Schülerkongress. Dazu eingeladen waren alle 12. und 13. Klassen der Schulen im Hochtaunuskreis – und sehr viele waren der Einladung gefolgt, wie die volle Aula bewies.

"Wenn wir unser Handy einschalten, sollten wir an die afrikanischen Kinder denken", sagte Wolfgang Lieberknecht von "Black & White", dem Verein für afrikanisch-europäisch-amerikanische Verständigung, in seinem Vortrag, der die Ausbeutung Afrikas durch die Industrienationen thematisierte. Gold, Diamanten, Kobalt – den meisten Menschen ist nicht bewusst, wie viele Rohstoffe wir trotz des Endes der Kolonialzeit aus Afrika beziehen und wie sehr die dortige Bevölkerung nach wie vor darunter leidet. Lieberknecht zeichnete, zuweilen begleitet von drastischen Fotografien, ein umfassendes Bild der "Schreckensherrschaft der Europäer" in Afrika.

Sechs afrikanische Musiker – alle als Asylsuchende in Deutschland – waren mit Lieberknecht ins KFG gekommen. In afrikanischen Gewändern trommelten und sangen sie Lieder aus Afrika, Amerika und der Karibik. Bei manchen Liedern stand das Tanzen im Vordergrund, und Freiwillige wurden zum Mitmachen auf die Bühne gerufen. Mit "Nkosi Sikeleli Africa", dem Lied des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC), beendeten "Black & White" ihren bejubelten Auftritt.

Der zweite Teil des Kongresses war dem Thema Todesstrafe gewidmet. Vor sechs Jahren lernte Gabi Uhl den Amerikaner Clifford Boggess kennen, der in Texas im Todestrakt saß. Auf seinen Wunsch war sie unter den Zeugen, als er durch die Todesspritze sterben musste. "Das hat mich seitdem nicht losgelassen", sagt sie heute und verarbeitet das Erlebte in Musik und Texten. Sie lade nicht zu einem entspannenden, sondern zu einem verstörenden Konzert ein, sagte Uhl zu Beginn ihrer Leinwandpräsentation. Sie sang, begleitet von Bildern, vom Töten als Dummer-Jungen-Streich ("Die Ballade vom Nachahmungstrieb" von Erich Kästner), aus Sicht des Wärters im Todestrakt, des Verurteilten, des Henkers und des Publikums und regte die Zuhörer in Zwischentexten zum Nachdenken an. Etwa durch den Bericht von der Kindheit von Boggess. Eindringlich appellierte sie an die Verantwortung der Gesellschaft, Gewalt zu verhindern statt durch Gegengewalt zu vergelten. Die Todesstrafe sei "Rache, nicht Gerechtigkeit".

Informationen zu "Black & White" im Internet unter www.blackandwhite- schwarzundweiss.de, Information zu Gabi Uhl unter www.todesstrafe-texas.de

Quelle: Frankfurter Neue Presse (Taunus-Zeitung) - 11.12. 2003

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Sehr geehrte Fr. Uhl, liebe Gabi. Als erstes muss ich ein großes Lob für Ihr "Konzert/Vortrag" aussprechen. Dies war eine nicht alltägliche Darstellung der Todesstrafe, die ich sehr ansprechend fand. Außerdem fing ich nach dem Konzert an, über die Todesstrafe in einer ganz besonderen Weise nachzudenken. Und zwar nicht nur die nüchternen Statistiken zu sehen, sondern sich in eine persönliche Ebene der Täter und der Opfer zu versetzen. Dies hat mich den ganzen Tag sehr nachdenklich gestimmt, weil es meiner Meinung nach unbeschreiblich ist, dieses "ohnmächtige??" Gefühl zu erklären. Allein die Vorstellung, sich selbst in dieser Situation zu befinden, lässt mich erschauern. Ich denke, wenn jemand weiß, was ich meine, dann Sie. Denn das Schicksal von Cliff Boggess persönlich mitverfolgt zu haben, sowie die Hinrichtung an sich, ist ein sehr prägendes Erlebnis. Ich denke auch, dass die Kunst das einzige Medium ist, diese Gefühle zu beschreiben. Ich weiss nicht, wie Sie ethisch dazu stehen, nur jedenfalls würde ich gern schriftlichen Kontakt mit Personen aufnehmen, die z.Z. im Todestrakt einsitzen und auf ihre Exekution warten. Ich kann Ihnen wirklich nicht sagen, warum ich das will, ich habe keine auflistbaren Gründe. Vielleicht nur, um was zu erklären, für das es keine Erklärung gibt. Zu erfahren, warum derjenige zum Tode verurteilt wurde, was er denkt, was er fühlt... Vielleicht ist das auch aus gewissen Gründen nicht möglich, nur vielleicht können Sie mir weiterhelfen. Wohin ich mich wenden müsste oder wie das überhaupt möglich ist. Das war's erstmal. Ich bedanke mich im Voraus und würde mich über eine Antwort freuen. Mit freundlichen Grüßen, Kai

Quelle: E-Mail-Feedback - 10.12.2003

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Sehr geehrter P.L. (Veranstalter), sehr geehrte Damen und Herren des Vereins "Black&White", sehr geehrte Gabi Uhl! Wir, der Politik und Wirtschafts-Leistungskurs 13 der AKS Kronberg besuchten letzte Woche den Schülerkongress zum Thema Menschenrechte und haben heute in einer Diskussion über die Vorträge ein Resümee gezogen. Erst einmal herzlichen Dank für die Mühe und Arbeit, die Sie sich gemacht haben. Wir denken, dass es sich auf jeden Fall gelohnt hat zu kommen. Unserer Meinung nach ist konstruktive Kritik jedoch angebracht.

Während die Gruppe "Black&White" sehr gut bei uns Schülern ankam (Ihre Vorstellung des Landes Afrikas und der dort herrschenden Probleme hat uns sehr beeindruckt. Ihr Umgang mit dem Thema Menschenrechte in Afrika bot uns vielseitige Einblicke in ihre Erlebnisse und Erfahrungen. Gerade da wir momentan das Thema Entwicklungsländer im Unterricht bearbeiten, empfanden wir ihren Vortrag als sehr interessant.), gefiel uns der Vortrag von Gabi Uhl nicht besonders gut. Ihr Vortrag bestand lediglich aus ihrer Sichtweise, uns haben Argumente, die verschiedenen Perspektiven des Themas Todesstrafe und ein Abwägen differenzierter Meinungen gefehlt. Ihre Position kam uns zu "eingefahren und vereinfacht, fast schon mitleidserregend" vor. Ihre persönliche Auseinandersetzung zielte zu sehr auf ihre eigene Erfahrung ab, was wir schade, aber auch verständlich fanden. Es entsprach trotzdem nicht unseren Erwartungen in diesen Vormittag, da wir nicht ausreichend auf dieses Thema vorbereitet waren und so gerne eine vielfältigere Bearbeitung des komplexen Themas "Todesstrafe" vorgefunden hätten. Dennoch hat uns ihr Vortrag auch neue Sichtweisen über den Umgang mit diesem Thema ermöglicht.

Mit freundlichen Grüssen, Politik und Wirtschafts-Leistungskurs 13, Altkönigschule Kronberg

Quelle: E-Mail-Feedback - 17.12.2003

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Hallo PoWi-LK 13, zunächst vielen Dank, dass ihr euch die Mühe gemacht habt, den Schülerkongress kritisch zu reflektieren und ein Feedback zu der Veranstaltung zu formulieren. Da mein Konzertprogramm über Todesstrafe ein noch ziemlich neues Projekt ist, bin ich für kritische Anmerkungen jederzeit offen und dankbar.

Ja, ihr habt natürlich Recht, mein Konzert spiegelt meine persönliche Sichtweise zum Thema Todesstrafe wider und ist auch stark geprägt von meinen eigenen Erfahrungen. Ich behandele das Thema nicht neutral "von außen" und sehe mein Programm bewusst als ein Statement, das provozieren will. Üblicherweise lautet der Untertitel daher sonst auch: "Konzert gegen Todesstrafe". Der Veranstalter hat auf diesen Untertitel verzichtet, um die Position nicht gleich derart festzulegen, aber vielleicht wäre es besser gewesen, genau das vorher klarzustellen, um keine falsche Erwartungshaltung zu erzeugen. Jedenfalls hat mir eure Kritik bewusst gemacht, dass es für die Zukunft wirklich wichtig ist, dieses "GEGEN Todesstrafe" auf den Einladungen deutlich zu machen. Ich war mir anfangs selbst nicht so sicher, ob ich das Programm lieber "Konzert ÜBER Todesstrafe" oder "Konzert GEGEN Todesstrafe" nennen wollte. Mehrere Veranstalter (Gruppen von Amnesty International) bevorzugten das "GEGEN", und nach eurer Rückmeldung muss ich ihnen beipflichten. Von daher: Danke, dass ihr mir in diesem Punkt zu mehr Klarheit verholfen habt.

Was bedauerlicherweise sowohl aufgrund der Größe der Veranstaltung mit fast 500 Schülern und vierstündigem Programm als auch wegen der ungeplanten zeitlichen Verzögerung zu kurz kam bzw. ganz wegfallen musste, war eine offizielle Gesprächsrunde mit einer möglichen Diskussion über das Für und Wider der Todesstrafe im Anschluss an das Konzert. Üblicherweise lege ich Wert darauf, dass für das Publikum noch ein Forum geschaffen wird, in dem es sich einbringen und man die verschiedenen Aspekte des Themas gemeinsam vertiefen kann. Das werde ich zukünftig noch gezielter verfolgen. Denn ich bin mir schon klar darüber, dass dieses Konzert an sich ja eine eindimensionale Kommunikation darstellt - anders als meine interaktiven Vorträge in Schulklassen. Bei letzteren sieht das Konzept so aus, dass nach einer vielleicht 20-minütigen Einführung der Rest der anderthalb Stunden im Gespräch abläuft und die Schüler damit die Schwerpunkte des Themas selber bestimmen. Das ist ein anderer Ansatz, mit dem ich gute Erfahrungen gemacht habe und der je nach den Bedürfnissen der Klasse sehr variabel ist.

Wenn ihr sagt, dass euch in meinem Programm die verschiedenen Perspektiven des Themas und das Abwägen differenzierter Meinungen gefehlt hat - vielleicht könnt ihr das noch etwas konkretisieren, wie ihr euch das in der Praxis vorstellt? Ich denke einerseits schon, dass ich einige standardmäßige Diskussionspunkte aufgegriffen habe, die gerade auch von Befürwortern der Todesstrafe immer wieder genannt werden, aber natürlich habe ich aus meiner Sicht dazu Stellung bezogen, das ist schon klar. Und selbstverständlich bin ich in Diskussionen mit dem Hintergrundwissen, das ich mir über die persönlichen Erfahrungen hinaus angeeignet habe, durchaus in der Lage, noch tiefer in das Thema einzusteigen. Die Zeit eines Konzerts von einer guten Stunde Dauer, von der ca. 40 Minuten der Musik gewidmet sind, setzt mir aber vielleicht verständlicherweise Grenzen, und ich muss mich auf wesentliche Dinge beschränken, ohne sie direkt innerhalb des Konzerts vertiefen zu können.

Einen wichtigen Punkt habt ihr noch angeschnitten, indem ihr gesagt habt, dass ihr euch auf das Thema nicht ausreichend vorbereitet gefühlt habt - im Gegensatz zum ersten Teil des Kongresses, der mit eurem Unterrichtsthema "Entwicklungsländer" Berührungspunkte hatte. Da sehe ich auch ein Problem drin, obwohl ich da im Hinblick auf meine Konzerte spontan keine Lösung weiß. Eine kurze Einführung soll ja die erste Info-Präsentation vor Beginn meines Konzertes sein, aber das ist natürlich bei weitem kein Ersatz für eine intensivere Vorbereitung. Wenn ich von Kollegen in Schulklassen eingeladen werde, die das Thema im Unterricht behandeln, lege ich immer Wert darauf, dass mein Besuch für den interaktiven Vortrag möglichst nicht am Beginn der Unterrichtsreihe steht, sondern das Thema mindestens bereits begonnen wurde. Denn ich bin überzeugt, wenn bereits ein entsprechendes Problembewusstsein bei den Schülern geschaffen wurde, dann profitiert die Gruppe deutlich stärker von meinem Besuch, weil viel differenzierter und kritischer gefragt und diskutiert werden kann. Diese Grundlage kann ich leider nicht schaffen, wenn ich irgendwo mein Konzertprogramm anbiete - da sind die Voraussetzungen einfach andere.

Abschließend kann ich euch meinen Besuch zu einem solchen interaktiven Vortrag in eurem Kurs anbieten, wenn eurerseits daran Interesse besteht und wir das auf einen Donnerstag (oder auch Dienstag) legen könnten. Ich mache diese Besuche zwar eigentlich nur im Rheingau-Taunus-Kreis und in Wiesbaden, aber Kronberg ist ja auch nicht aus der Welt und ich biete euch gern an, was an dem Schülerkongress zu kurz kam, nämlich eine vertiefende Diskussion über das Thema, in der ihr selber die Schwerpunkte setzen dürft. Auch wenn ich zu meiner Meinung stehe - durch vielfältige Diskussionen auch mit ernstzunehmenden Befürwortern der Todesstrafe, die nicht nur Stammtischparolen von sich geben, bin ich mit deren Sichtweise durchaus vertraut und bringe die auch ein - genauso wie ich andererseits nicht alle Argumente der Todesstrafen-Gegner unreflektiert unterstütze, sondern auch da manches kritisch sehe.

Ich wünsche euch allen erholsame Feiertage und schöne Ferien! Gabi Uhl

Quelle: E-Mail-Antwort - 18.12.2003

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